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der darauf beruhenden idealistischen weltanschauung zu verleugnen, um, wie Goethe, Tennyson und Arnold, zu jener harmonie und klarheit zu gelangen, welche dem antiken ideal eigentümlich ist. Denn bei all seiner vorliebe für klassische scenen und trotz der anerkannten schönheit seiner darstellungen der antike ist es Byron niemals ordentlich gelungen, wie jene in das innere heiligtum antiken empfindens und denkens einzudringen. Seine beziehungen zu der antike sind vielmehr vorwiegend äusserlicher und zufälliger natur.

Von haus aus, vermöge der in seinen knabenjahren in Schottland und Newstead gewonnenen eindrücke romantiker, ist Byron, nachdem er die herkömmliche gymnasialbildung auf der schule zu Harrow erhalten. hatte, zuerst als verfechter des pseudoklassizismus aufgetreten, um später die antike selbst an ort und stelle kennen zu lernen und sich, besonders in seinen dramen, der antiken formvollendung zu befleissigen 1).

Schulexercitien, übersetzungen 2), anacreontische verse u. s. w., nehmen den jüngling zunächst in anspruch und sind nicht ohne bedeutung für die litterarische ausbildung Byron's wie für diejenige anderer unter den überlieferungen der humanistischen bildung erzogener englischer dichter, wie z. b. Milton, Coleridge, Tennyson und Matthew Arnold. Nur eine lieblingsgestalt seiner klassischen

1) Vgl. Brandl, Byron und die Antike. Verhandlungen der 42. versammlung deutscher philologen und schulmänner in Wien, 1893, (Leipzig 1894).

2) Vgl. Maychrzak, Lord Byron als Übersetzer. Altenburg, 1895. Breslauer Diss.

Pughe, Studien über Byron und Wordsworth,

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lektüre, der Prometheus 1), vermag den jungen Byron dauernd zu fesseln; es ist aber höchst bezeichnend für den modernen individualistischen charakter seiner dichtung, dass gerade wie Shelley in seinem Prometheus Unbound, so auch Byron den von dem griechischen dichter herbeigeführten versöhnlichen schluss des mythus vermeidet, um den titanen zum vorbild des gegen die autorität sich stolz auflehnenden modernen geistes zu machen. In seinen satiren English Bards and Scotch Reviewers, The Curse of Minerva u. a., um auf ein anderes gebiet seiner thätigkeit zu kommen, finden wir Byron im fahrwasser der englischen pseudoklassiker und deren vermittler, Churchill; und er mag hier in der that sich der besondern vorzüge jener richtung rühmen, namentlich der äusserlichen korrektheit, the right word in the right place klassische eigenschaften, die, wie bei Dryden und Pope ersichtlich ist, ganz vereinbar sind mit der unfähigkeit, für den geist der antike ein inniges verständnis zu gewinnen.

Noch wichtiger für Byron's beziehung zu dem klassischen altertum sind die schilderungen der scenen und kunstwerke der antiken welt, welche in Childe Harold so viel platz einnehmen und insbesondere dem IVten gesang einen so unvergänglichen reiz verleihen. Den stoff zu diesen herrlichen schilderungen verdankt der dichter allerdings, von der persönlichen anschauung abgesehen, ebensowenig wie Keats direkten klassischen quellen Dupaty's Lettres sur l'Italie sollen nämlich hier dem verfasser von Ch. Harold denselben dienst geleistet haben, wie Lemprière dem autor von Endymion und trotzdem :

1) Vgl. Brandl, a. a. o. p. 55.

Symonds, Shelley in E. M. of Letters, London, 1884, p. 121. Prisoner of Chillon and other Poems, hersg. von Prof. E. Kölbing, Felber, Weimar, 1896, p. 183 ff.

Byron has made himself so master of the glories and the wrecks of Rome, that almost everything else that has been said of them seems superfluous. Hawthorne in his Marble Fawn comes nearest to him, but Byron's Gladiator and Apollo, if not his Laocoon, are unequalled. Nichol, a. a. o. p. 117.

Nirgends finden wir schönere, anschaulichere und zugleich ergreifendere bilder der scenerie und kunstwerke des altertums, und Byron ist niemals so gross als künstler, als wenn sein sinn für die historische grösse einer verschwundenen kultur, gepaart mit dem bewusstsein von der vergänglichkeit alles irdischen ihn veranlasst, mit der ihm eigentümlichen glut und leidenschaft der sprache uns jene scenen und kunstwerke vor augen zu führen, deren darstellungen zu den herrlichsten kleinodien der englischen dichtkunst gehören. Übrigens ist eine eigentümlichkeit der Byron'schen schilderungen der antiken kunstwerke seinen kritikern mit recht nicht entgangen: seine vorliebe für die meisterstücke der plastischen kunst, die antike kunst par excellence. Gegen die malerei scheint er sogar eine ausgesprochene abneigung gehegt zu haben, und wir können gewiss den Keats, Tennyson und den englischen Präraphaeliten gemachten vorwurf kaum mit recht gegen Byron erheben, er habe, wie diese und wie die dichter des alexandrinischen zeitalters (Apollonius Rhodius u. a.), in seiner vorliebe für detailmalerei, für die schilderung um des schilderns willen, die grenze zwischen der poesie und der malerei verwischt. Vermeidet nun Byron diesen fehler, sind seine schilderungen, wenn auch zuweilen äusserst malerisch, jedoch nicht allzu detailliert, so kann man anderseits nicht behaupten, er habe sich mit vorliebe der einfachen mittel der plastischen kunst bedient, so wenig wir die plastische schönheit einzelner

seiner schöpfungen verkennen. Denn während Wordsworth's gestalten vielfach jene plastischen eigenschaften aufweisen.

man denke an die Niobe-ähnliche gestalt von Emily Norton, an den alten blutegelsammler in Resolution and Independence, motionless as a cloud, zeichnet Byron mit vorliebe seinen gegenstand mit den malerischen, anschaulichen oder auch dramatischen mitteln des modernen künstlers, ebenso viele gedanken erregend, wie er ausdrückt, wohl bewusst, dass dem dichter die ganze sichtbare und unsichtbare welt gehört1).

Fassen wir z. b. Byron's schilderung des „sterbenden Gladiatoren" ins auge, kunstwerks, das, wie

eines

Laocoon, das ideal des stoikers:

A mortal's agony

With an immortal's patience blending.

verkörpert. Mit ein paar treffenden zügen schildert uns der dichter das klassische meisterstück; es genügt jedoch seinem zwecke nicht, das werk des bildners uns plastisch vorzuführen: was hier nebeneinander steht, muss zu einem nacheinander, muss uns anschaulich vor augen geführt werden 2). Das schicksal des einzelnen barbaren muss in den rahmen eines grossen historischen gemäldes gesetzt werden oder, wenn man will, den stoff zu einem gewaltigen musikdrama liefern, das kein geringeres thema als den untergang Roms umfasst, mit all den sich ablösenden episoden dieser welthistorischen tragödie, von der idyllischen einleitenden scene bis zu der gewaltigen katastrophe:

Arise ye Goths and glut your ire.

1) Vgl. Lessing's Laocoon, Ed. Buschmann, Paderborn, 1890, p. 7, 8.

2) Vgl. C. Harold, hersg. von A. Mommsen. Weidmann, Berlin, 1885, anm. zu IV 140.

Auf einem gebiete bemüht sich aber Byron ganz besonders, werke von klassischer formvollendung hervorzubringen: auf demjenigen des dramas1). So So gern wir hier zugeben mögen, dass die dramen, mit der möglichen ausnahme der mysterien, als künstlerische ganze verfehlt sind, so sehr wir ihre mängel im einzelnen, insbesondere ihre stilistischen unebenheiten beklagen und das streben nach den äusserlichen einheiten des ortes und der zeit als die mechanische anwendung eines falsch verstandenen klassischen prinzips erkennen, so können wir doch nicht umhin, die schönheit, die harmonie und die symmetrie zu bewundern, welche wenigstens einzelne schöpfungen, z. b. Heaven and Earth, den charakter Lucifers, u. s. w., kennzeichnen. Hier, wenn irgend wo, dürfen wir mit recht von den klassischen schönheiten Byron's sprechen.

Allerdings sind die meisten dieser werke, insbesondere Manfred und die freilich in der klassischen form Alfieris gehaltenen italienischen dramen, vom geist der romantik durchweht. Es herrscht z. b. in Marino Faliero die durch den zauber der italienischen nacht hervorgebrachte echt romantische stimmung vor, wobei die hauptpersonen in der verschwörungsscene mitten in dieser umgebung als durchaus keine plastischen, klassischen ge

1) In seinem tagebuch vom 12. Jan. 1821 bemerkt Byron, er habe in Marino Faliero die einheit der zeit innegehalten und sich weder überraschungen, fallthüren u. s. w. (also der bekannten kunstmittel der terroristen) noch des herkömmlichen romantischen themas,.der liebe, bedient. Siehe auch den brief an Murray vom 16. Febr. 1821 und die bemerkungen des dichters in einem brief an denselben (vom 30. Mai) über seine beobachtung der einheiten in Sardanapal; ferner Byron's Brief an Moore vom 4. Juni 1821. Byron's Works, Letters and Journals, vol. V. Murray, 1901, p. 167, 243, 301 und 304.

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