sache geworden, und der künftige, wenn auch gleichfalls infallible Papst kann Nr. 4959 (224). nach der neuen Kirchendoctrin zwar Lehrmeinungen definiren, aber Thatsachen Bayern. und deren gesetzliche Consequenzen aus der Welt zu schaffen, vermag er nicht. 27.Aug. 1871. Wollte indessen von diesem Bedenken auch abgesehen werden, so könnte unter allen Umständen Beruhigung für die Vergangenheit, sofern es sich um Hebung von Zweifeln über die Natur eines früheren päpstlichen Ausspruches fragt, höchstens ein Ausspruch ex cathedra in dem oben bezeichneten Sinn gewähren, sofern er in erschöpfender Aufzählung der einschlägigen päpstlichen Erlasse denselben den Charakter als infallibler Entscheidungen abspräche. Was die Zukunft angeht, so liegt augenscheinlich die Gefahr in dem Bestande der jedem Papste nach dem neuen Dogma zugemessenen Gewalt selbst und kann somit durch beruhigende Erklärungen eines einzelnen eben regierenden Papstes nicht gehoben werden. | Wohl ist es möglich, dass unter der Regierung des jetzigen heiligen Vaters jede Absicht fehlt, ins weltliche Gebiet überzugreifen; aber ebenso möglich ist, dass letzteres künftig geschieht. Auch in der Weise hat man zu beruhigen versucht, dass man erklärte: das Dogma von der Infallibilität und die auf Grund desselben ergangenen oder noch ergehenden Ansprüche hätten auf diejenigen Staaten niemals Anwendung zu finden, mit welchen die Kirche ihre Beziehungen durch Concordate oder ähnliche Abmachungen geordnet habe. Das heisst nichts anderes, als dass man die abgeschlossenen Verträge halten werde, auch wenn der Papst ex cathedra Sätze aufstellen sollte, welche von dem Inhalte der Concordate differiren. Es heisst aber auch, 1 dass man eben nur die Verträge respectiren werde. Hierin liegt für Bayern eine unmittelbare Bedrohung des geltenden Staatsrechts; denn dasselbe wurzelt nicht allein im Concordate, sondern auch in der Verfassungsurkunde und in der von der Kirche ohnehin schon vielfach angestrittenen zweiten Verfassungsbeilage. || Geht man aber von der Ansicht aus, dass das neue Dogma von der persönlichen Unfehlbarkeit des Papstes mit der bestehenden Staatsordnung nicht vereinbarlich sei, so erwächst der Staatsregierung die Verpflichtung, die nachtheiligen Wirkungen der kirchlichen Neuerung abzuwehren. Als das nächstliegende gesetzliche Mittel hiezu erscheint das Placetum regium. Von diesem abzusehen, ist die Staatsregierung nicht berechtigt, da es nicht in ihrer Befugniss steht über verfassungsmässige Bestimmungen hinwegzugehen, wie wenn sie nicht beständen. Die Staatsregierung verletzt mit der Handhabung des Placetum regium keines der verfassungsmässigen Rechte der Kirche, um deren Schutz Ew. Excellenz Se. Majestät den König gebeten haben. Denn alle Rechte, welche die Verfassung der Kirche zuerkennt, sind ihr nur mit und neben dem Placetum eingeräumt. | Die bayerischen Erzbischöfe und Bischöfe haben trotz der Anmahnung in der Entschliessung des Staatsministeriums des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 9. August 1870 und trotz der ausdrücklichen Verweigerung des Placetum sich über die einschlägigen Verfassungsbestimmungen hinweggesetzt. Der ergebenst Unterzeichnete darf es nicht unterlassen, Ew. Excellenz pflichtmässig zu erklären: dass Nr. 4959 in diesem Verfahren der bayerischen Erzbischöfe und Bischöfe eine offenbare (224). Bayern. Verletzung der Staatsverfassung liegt. Ew. Excellenz haben in der an Se. 27. Aug. 1871. Maj. gerichteten Vorstellung darauf hingewiesen, dass die Schädigung der kirchlichen Autorität eine Schädigung des Ansehens der weltlichen Obrigkeit auch zur Verkündung von Glaubensdecreten eine landesherrliche Geneh- Nr. 4959 (224). migung erforderlich sei. Was den zuerst erwähnten Grund betrifft, so nehmen Bayern. die Bischöfe Bezug auf die Würzburger Denkschrift vom 14. November 1848, 27. Aug.1871. dann auf die Freisinger Denkschrift vom October 1850 und auf die Vorstellung der Bischöfe vom 15. Mai 1853, in welchen überall Protest gegen das Placetum regium erhoben worden, weil dasselbe mit einem innigen Anschluss an das Oberhaupt der Kirche, mit einem engen Verband unter allen Gläubigen des Erdballs und mit Entwicklung einer einheitlichen Lehre der katholischen Wahrheit unvereinbar sei, weil es eine misstrauische Ueberwachung des Verkehrs zwischen Hirt und Heerden enthalte, weil es mit der Vorschrift des Art. XII lit. c. des Concordates, wonach der Verkehr der Bischöfe, des Clerus und des Volkes mit dem heiligen Stuhl in geistlichen Dingen und kirchlichen Angelegenheiten frei sein müsse, im Widerspruch stehe, und weil es jedenfalls nach Einführung der Pressfreiheit nicht mehr haltbar erscheine. | Das alles sind Erwägungen, die ihrem wahren Wesen nach nicht gegen die thatsächliche Geltung einer Rechtsnorm, sondern gegen die principielle Richtigkeit der ihr zum Grunde liegenden Motive gerichtet sind, oder die äussersten Falls als mehr oder weniger durchschlagende Gründe dafür, dass das Verlangen nach Beseitigung einer gesetzlichen Bestimmung billig sei, in Betracht kommen können. Solche Erwägungen können offenbar nicht die Wirkung haben, dass die unzweifelhaft zu Recht bestehende gesetzliche Norm um ihretwillen von selbst hinwegfällt. Niemand wird es z. B. wagen dürfen, für irgend ein Gebiet des öffentlichen oder privaten Rechts den Satz aufzustellen: dass eine Rechtsnorm, welche dem modernen Rechtsbewusstsein nicht mehr entspricht, sofort auch keine Geltung mehr habe, und einen solchen Satz sich zur Richtschnur seines Handelns zu wählen. Wer es auf dem Gebiete des Strafrechts unternehmen wollte, so vorzugehen, könnte in der Einsamkeit des Gefängnisses ausreichende Musse zur Ergründung der Unhaltbarkeit seiner Theorien finden. Was die Bischöfe hier vorgetragen haben, ist nichts anderes als die Erklärung, sie überträten zwar eine zu Recht bestehende Verfassungsbestimmung, aber sie glaubten dies wegen der Gründe thun zu dürfen, die sie dafür anzuführen vermöchten, dass jene Verfassungsbestimmung gar nicht hätte erlassen werden sollen. Aus den Ausführungen der Bischöfe ergibt sich zugleich, dass sie nicht allein für die Kirche, sondern auch für sich selbst als die Organe der Kirche den bayerischen Staatsgesetzen gegenüber eine Art von souveräner Stellung, die Stellung einer ebenbürtigen, auf dem Fusse des Mitcontrahenten an einem Staatsvertrage dem Staate gegenüberstehenden Macht in Anspruch nehmen, welche ihnen die bayerische Staatsregierung niemals zugestehen kann. Die bayerische Staatsregierung hält fest daran, dass die bayerischen Erzbischöfe und Bischöfe den Gesetzen des Staates unterworfen sind. Was aber den zweiten Grund angeht, so zerfällt er gegenüber dem Worte des Verfassungsrechtes in Nichts. Das Verfassungsrecht verlangt schlechthin für alle Gesetze und Verordnungen der Kirchengewalt, ohne Unterschied zwischen Glaubens Nr. 4959 gesetzen und Disciplinargesetzen, die königliche Genehmigung, und die con (224). Bayern. stitutio prima de ecclesia Christi ist ein Gesetz. Ausserdem verordnet aber 27. Aug. 1871. auch der §. 38 des Religionsedicts, dass jeder Kirchengesellschaft unter der obersten Staatsaufsicht nach den im III. Abschnitt enthaltenen Bestimmungen (gez.) v. Lutz. Diesen Erlass beantworteten die Bischöfe Bayerns durch Entgegnungen, in welchen im wesentlichen die in der Vorstellung vom 15. Mai 1871 gegen die Anwendbarkeit des Placetes auf die Beschlüsse des Concils vorgebrachten Argumente wiederholt werden. S. dieselben Vering Archiv N. F. Bd. XX p. CLXIX ff. u. Bd. XXI p. XXIX ff. Druck von Bar & Hermann in Leipzig. |