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18948

Byron und die romantische Poesie

in Frankreich.

Inaugural-Dissertation

zur

Erlangung der philosophischen Doktorwürde

der

hohen philosophischen Fakultät der Universität Leipzig

vorgelegt von

Walter J. Clark

aus Dulwich, Surrey.

Leipzig

Druck von Pöschel & Trepte

1901.

17495.494

17496.5.5

Wast furid.

I. Urteile über Byrons Einfluss in der Litteratur.

BRANDES1) würdigt die Stellung, die Byron in der Litteratur des 19. Jahrhunderts überhaupt einnimmt. Unter Hinweis auf Gervinus, der in seiner Geschichte des 19. Jahrhunderts von ihm sagt: „Da knüpfte dieser eine Name den Faden wieder an, den eine Million Soldaten zerrissen hatte u. s. w.", teilt er ihm eine grosse Rolle in der Entwickelung des politischen Gedankens in Europa zu.

WEDDIGEN 2) hebt die negative Seite von Byrons Werken besonders hervor, seine nagende und wühlende Skepsis gegen alles Bestehende, seine düstere Verzweiflung und seinen Weltschmerz." Positive Elemente sind nach ihm: 1) Verherrlichung der Autonomie des Menschengeistes; 2) Begeisterung für die Schönheiten der Natur; 3) Zauber der Form und der Sprache; 4) Verherrlichung der Liebe; 5) politische Elemente Tyrannenhass. Im Abschnitt über Byrons Einfluss in Frankreich nimmt Weddigen die Hauptschriftsteller der Periode summarisch durch und hebt bei jedem die Hauptbyronismen hervor, ohne jedoch des Näheren auf Daten und Zeitverhältnisse einzugehen. Jedoch zeigt er immer die Neigung, bei allem, wo die Rede von der Freiheit des Staates oder des Individuums ist, oder wo Pessimismus stark hervortritt, Byrons Einfluss anzunehmen. Er sagt aber nichts über De Vigny, der doch entschieden stärker von Byron beeinflusst war, als V. Hugo.

CHIARINI) bemerkt im Abschnitte über Frankreich:

,,Jo debbo contentarmi di aggiungere poche cose alle non molte dette in questo proposito (d. h. über den Einfluss Byrons in Frankreich) dall'Elze e dal Brandes." In der That bringt er wenig Neues, und da er, wie Weddigen, kein Wort von De Vigny sagt, ist er vielleicht diesem bloss gefolgt, ohne ihn zu nennen. Eins ist interessant. Er giebt sich nicht mit den vor

1) Hauptströmungen des 19. Jahrhunderts.

2) Lord Byrons Einfluss auf die europäischen Litteraturen der Neuzeit. Hannover 1884.

3) Lord Byron nella politica e nella Letteratura della prima metà del secolo. Nuova Antologia XXXIV, 1891.

handenen französischen Übersetzungen von Byron zufrieden und verlangt eine bessere nach dem Muster der Marlowes und Shelleys von Rabbe, oder Shakespeares von Hugo und Montegut. Vielleicht ist Lesueur diesem Winke gefolgt (siehe unten, Abschn. VII). Bedeutet das Scheitern dieses Versuchs, dass die Franzosen kein Interesse mehr für Byron haben?

Ein neuerer Versuch, Byrons Platz in der Litteratur festzustellen, ist von ZDZIECHOWSKI1) gemacht worden. Das Buch ist nicht aus dem Polnischen übersetzt worden. Nach dem Berichte im Extrait du bulletin de l'Académie des Sciences de Cracovie scheint die Behandlung ziemlich allgemein gehalten zu sein. Z's. Ansicht ist folgende:

Le trait essentiel de toutes les œuvres de Byron est une soif, une passion de vérité et de justice . . . Cette soif cependant a sa source moins dans le cœur que dans l'esprit du poëte, et c'est pourquoi nous la trouvons si étroitement unie au profond mépris des hommes

Von diesem Gesichtspunkt ausgehend stellt Z. eine Untersuchung über die Nachwirkung Byrons in den verschiedenen Litteraturen an. Er beklagt, dass die meisten Kritiker den Einfluss Byrons auf sein Jahrhundert eher nach seinen Fortsetzern und Nachahmern, als nach seinen eigenen Werken beurteilen.

VICTOR HUGO2) stellte Byron Châteaubriand gegenüber und liess Byron die untergehende Weltordnung in der Litteratur vertreten, während Châteaubriand als Apostel der Neuzeit gilt (s. unten Näheres über Hugo und Byron).

CHÂTEAUBRIAND selbst schreibt:

Les lectrices à prétentions poétiques, lyriques et romantiques préféraient Lord Byron; mais Scott avait pour lui les hommes sérieux . . . les auteurs dramatiques qui lui empruntaient des sujets de pièces, les amateurs d'études historiques... réforme qui se réflétait dans les œuvres de Thierry et de Barante. Für Châteaubriand also macht Byron keine Schule wie Scott. Anderswo wirft er Byron vor, er habe seine eigenen Schriften ausgebeutet, ohne dies zuzugeben.

ZIESING) unterscheidet drei Hauptzüge im Romantismus von 1820: 1) Den auf Ossian beruhenden Romantismus keltischen Ursprungs. „Ce romantisme-là s'appela Napoléon en histoire et Byron en poésié.“ 2) Den melancholischen Romantismus, der auf Rousseau, St. Pierre, Werther und die englischen Romane zurückgeht. 3) Den aristokratischen und

1) Byron i jego wiek. Byron et son siècle. Etudes de littérature comparée, 2 tomes. Cracovie 1896-97.

2) La Muse Française 1824.

3) Le Globe et l'école romantique.

christlichen Romantismus. Hauptvertreter ist Châteaubriand, mit dem Charaktertypus René.

MAIGRON1) schreibt:

,,Goethe et Byron ont plus fait pour la sensibilité; Shakespeare, Schiller et Scott pour l'imagination";

fügt aber hinzu:

,,Nous n'essaierons même pas d'établir quelle est dans cette œuvre collective la part qui revient à chacun".

Der GLOBE (2. April 1825) unterscheidet zwei Klassen: 1) Diejenigen, die den Namen Romantismus vor höchstens 20 Jahren) von jenseits des Rheines eingeführt haben. Diese haben sich von der Mythologie losgesagt; sie huldigen dem Christentum und den Litteraturen des Nordens im Gegensatz zum Süden. 2) Diejenigen, welche die Litteratur realistisch machen, anstatt idealistisch, und Individualitäten schildern, anstatt Allgemeinheiten darzustellen.

Ceux-ci ont inscrit sur leur bannière le nom de Sir Walter Scott, comme les premiers celui de Lord Byron."

Diese Ansichten enthalten viel Wahres. Aber ein Missverständnis kann leicht eintreten, da Scotts und Byrons Auftreten zeitlich zusammenfällt. Goethe und Schiller kommen schon in Betracht für die Vorbereitungszeit des eigentlichen Romantismus (s. Texte: Werther en France au 18e siècle; Le théâtre de Goethe et de Schiller en France au 18e siècle; Revue des Cours et des conférences 1896), während das plötzliche Erscheinen Byrons in Frankreich 1819 mit dem früheren Romantismus, gegenüber dem späteren von 1825 an, zusammenfällt. Indem man sich zu sehr an den Unterschied der Subjektivität Byrons und der Objektivität Scotts hält, pflegt man Byrons Einfluss zu unterschätzen 1) in stilistischer Beziehung, 2) im Geschmack für die Lokalfarbe, besonders die griechische, die spanische und die biblische.

Gewöhnlich wird der Beginn des Einflusses Byrons in Frankreich eher zu spät als zu früh angesetzt. Die herrschende Ansicht wird von RENARD3) vertreten: „Beaucoup de poètes anglais ont droit au titre de précurseursdes nôtres; un seul pourtant a, depuis 1830, exercé en France un sérieux ascendant. Ce privilégié, c'est Byron". Diese Ansicht beruht natürlich auf Th. Gautiers sogenannter Histoire du Romantisme. Gautier

1) Le Roman historique à l'époque romantique. Essai sur l'influence de

Walter Scott.

2) Hier ist nicht der Ort, auf den Ursprung des Namens einzugehen. Jedenfalls setzt der Globe hier das Datum zu spät an. S. Anbang I.

3) L'influence de l'Angleterre sur la France depuis 1830. Nouvelle Revue 1885.

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