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das Theater in unser öffentliches Leben eingreift. Es hat immer zur Weisheit hervorragender Staatsmänner gehört, diese Macht der Dichtung über die Herzen zu beachten und zu nützen. Nicht umsonst hat sich Bismarck so häufig die Losungsworte zu den Kämpfen des Tages aus der alten Heldensage geholt. Nicht vergeblich hat Carlyle die Stimme schriftstellerischer Heroen zur sozialen und politischen Schulung seiner Briten angerufen. Zu diesen Taten weiterblickender Kulturmission gehörte die Gründung. der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft. Durch die Zusammen

setzung ihrer Mitglieder, die von vornherein aus Autoren, Theatermännern und allgemein Gebildeten bestanden, war sie zu solcher Arbeit befähigt, und die Art, wie sie alsbald durch Versammlungen und Vorträge, durch das Jahrbuch und die Pflege der ShakespeareÜbersetzung, auch durch mancherlei Anregung auf dem Gebiete des Theaters sich betätigte, lag in der geraden Fortsetzung der von Oechelhäuser eingeschlagenen Richtlinie.

Was aber für das Gedeihen der Gesellschaft hauptsächlich den Ausschlag gab, war die außerordentliche Eignung von Shakespeares Werken zu solch volksadelndem Einfluß.

Shakespeare mußte, wenn er im höfischen Autorenkreise der Elisabethzeit mit Ehren bestehen wollte, möglichst darauf bedacht sein, seine Leser und Zuhörer zu sich empor zu heben, bald durch Bedeutsamkeit des Stoffes oder der Gedanken, bald durch Würde oder Witz der Sprache. Deutlich und nachdrücklich hatte solches der Wortführer jenes Kreises, Sir Philipp Sidney, der erste literarische Theoretiker Englands, in der berühmten Verteidigung der Poesie gefordert, wenige Jahre bevor Shakespeare selbst zu dichten begann. Der Poet sollte nach ihm der beste Philosoph und der beste Geschichtschreiber sein, weil er Wahrheit im höheren Sinne vermittle und in angenehmster Form, gleichsam wie ein gottbegnadeter Lehrer, der seinen Jüngern auf den richtigen Weg auch noch eine Traube mitgibt zur Erfrischung und Aufheiterung. Spenser, der gefeiertste Sänger um 1590, schrieb seine Verse nach dem ausgesprochenen Grundsatz, daß wer den Namen Poet verdienen wolle, die Mitbürger durch edle Bilder zu edlen Taten begeistern müsse. Nicht Schönheit an sich, sondern angewandte Schönheit war sein Ziel, wie denn überhaupt die Engländer der Renaissance mehr den praktischen Römern nacheiferten als den ästhetischen Griechen. Die Feenkönigin ist in der handgreiflichen Absicht verfaßt, die englischen Bürger durch allen Zauber antiker und ritter

licher Phantasiekunst für die kirchliche und äußere Politik der Königin Elisabeth zu gewinnen. Andererseits hatte Marlowe, der Hauptlehrer Shakespeares in der Tragödie, in seinen Stücken von Tamerlan und vom Dr. Faustus mit größter Kühnheit jede Gelegenheit benutzt, um für sein Freidenken Anhänger zu gewinnen; und in seiner Dramatisierung der Pariser Bluthochzeit warb er, weit über die Vorsicht der Königin hinaus, um werktätige Hilfe für die französischen Reformationsbrüder. Es gab damals auch bereits einen vielgelesenen politischen Roman die « Utopia» des Thomas Morus; und eine Reihe pädagogischer Romane, voran den «Euphues » des Lyly, die vor Leidenschaft warnten und zu Mannestüchtigkeit, zu virtus, aneifern wollten. Durch die Humanisten und die Reformatoren waren Shakespeares Vorgänger im weitesten Umfange gewöhnt worden, die Probleme der Nation mitzufechten. Indem Shakespeare in solcher Tradition aufwuchs, erbte er den Mut der freien Rede, so daß seine Werke, namentlich seine Königsdramen, wenn man näher zusieht, wimmeln von Aufrufen und Warnungen sowohl an die Mitbürger als an die Männer der Regierung.

Worauf es Shakespeare in erster Linie offenbar ankam, das war, sein Vaterland stark zu sehen nach außen. Er hat dabei mehr in mannhafter als in zartfühlender Weise gehandelt. In der irischen Frage z. B. verlegte er sich nicht lange auf ein philosophisches Reflektieren, ob und wie weit seine Landsleute im Rechte seien; er sah englisches Blut fließen, hörte von Niederlagen der königlichen Truppen und war für den verzweifelten Freiheitskampf der Iren alsbald mit dem Ausdruck Rebellion zur Hand; in Heinrich V.» hat er ohne dramatische Nötigung, zum Fenster hinaus, seinen Hut dem General der Elisabeth zugeschwenkt, der im April 1599 nach Irland fuhr, um «die Rebellion, aufs Schwert gespießt, nach Haus zu bringen». So mild er seine Porzia im Kaufmann von Venedig für Gnade und Barmherzigkeit sprechen ließ, so heftig sprach er selber in diesem Fall gegen feindliche Ausländer. Neben der poetischen Seele hatten die Autoren der Elisabethzeit, ja der ganzen Renaissance oft auch eine politische, die sich in Existenzfragen des Staates mit Wucht ausprägte. In demselben Heinrich V. hat Shakespeare ebenso viel Klugheit aufgeboten, um für die Vereinigung Schottlands mit England zu wirken. Ohne historischen oder dramatischen Anlaß, denn Heinrich V. hatte weder in der Wirklichkeit noch im Stück mit Schottland zu kämpfen, flocht er die Warnung ein, daß wer mit Frankreich will gewinnen, mit

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Schottland muß beginnen». Unabhängig von seinen Quellen hat er am Lagerfeuer, wo der englische König seine Leutseligkeit zeigt, je einen Schotten, Waliser und Iren eingeführt, um aus der begeisterten Hingabe aller für den gemeinsam geliebten König den wunderbaren Sieg von Agincourt am nächsten Morgen erwachsen zu lassen. Von vielen anderen Beispielen sei noch hervorgehoben, wie er mit prophetischem Zukunftsblick in «Heinrich VIII.» das britische Kolonialreich ersehnte, das sich wie eine Zeder über die Meere ringsum breiten soll. Shakespeares Schaffen fiel eben in die Periode, in der sich England aus einem Kleinstaat durch die Überwindung Spaniens und die Vereinigung mit Schottland zu einer Großmacht erhob. Was die Patrioten in London dabei empfanden, wie sie die Mitbürger dazu vorbereiteten, welche gespannte, bald bange, bald triumphierende Tatenhoffnung in ihnen fieberte, bei Shakespeare ist es nachzulesen und durch Shakespeare unserem Volke zu vermitteln. Wer sich Shakespeare als einen weltfremden Philosophen oder Ästheten denkt, oder als einen in Fachtechnik, wohl gar in Erwerbsgier aufgehenden Theatermenschen vorstellt, der wird niemals in den Kern seines Wesens eindringen. Er hatte vielmehr ein leidenschaftliches Interesse für die Wohlfahrt seines Landes und rief mit heller Trompete zur Sammlung und zum Vorstürmen.

In Bezug auf innere Fragen hat es Shakespeare nicht bloß vermieden, die religiösen Gegensätze zu schärfen, die bereits gründlich überwundenen Mönche nach Art seiner Vorgänger weiter zu verhöhnen und die eben aufstrebenden Puritaner mit manchem zeitgenössischen Dramatiker gröblich zu verspotten. Er hatte zugleich ein positives Programm: Schule und Bildung hat er ein über das andere Mal empfohlen, Unwissenheit und Torheit aber als den schlimmsten Fluch des Menschengeschlechts bezeichnet. Der enterbte Orlando in Wie es euch gefällt beklagt es als die schwerste Unbill, die er durch seinen gewalttätigen Bruder erfuhr, daß er ohne rechten Unterricht aufwachsen mußte. Kardinal Wolsey, der in Heinrich VIII» als ehrgeiziger und selbstsüchtiger Kirchenfürst wahrhaftig nicht sympathisch geschildert ist, wird doch ausdrücklich gelobt, weil er eine Lateinschule begründet hatte. Wer die kleinen Knaben lehrt, der tu es milde und mit leichter Aufgab'»: so hat Shakespeare durch Desdemona den Männern der Schule zugerufen. Er war ein echter Sproß der Humanistenzeit, und von humanistischen Mitteln hat er für das Alltagsleben seiner Umwelt die beste Förderung erhofft.

Tolstoi hat Shakespeare vorgeworfen, er habe das Volk verachtet. Was man in Julius Caesar» und « Coriolanus» als Volksszenen zu bezeichnen pflegt, sind das nicht eigentlich Pöbelszenen? Noch jeder Historiker hat in der hauptstädtischen Plebs und ihrer Instinktherrschaft die Schwäche des Römerreiches gesehen. Durfte Shakespeare diese leicht verführbaren Analphabeten wie Staatsmänner reflektieren lassen? Er hat ihnen gute Regungen in Menge zugeschrieben: sie vermögen die Tapferkeit eines Coriolan zu bewundern, den leicht begreiflichen Vernunftgründen des Menenius beizustimmen, die Verdienste des Pompeius, wenn man daran ernstlich erinnert, zu schätzen, auch einen Idealisten wie Brutus gelten zu lassen. Aber urteilslos verfallen sie der bestechenden Beredsamkeit eines Mark Anton und den hetzerischen Giftworten der Tribunen, die für ihre persönliche Macht zittern. Diese Warnungen Shakespeares vor Demagogenherrschaft verdienen einen Platz in jedem Katechismus der Bürgerkunde. Wie sich die Schürzenmänner von ihren gewissenlosen Führern zur Ächtung Coriolans hinreißen lassen und dann, sobald Coriolan an der Spitze der Volsker vor die Tore gerückt ist, ihre eigene Dummheit bejammern, sollte in jeder Schule gelesen werden: es ist ebenso treffende wie ergötzliche Lehre, ganz nach Philipp Sidneys Rezept.

Wie nach unten, so hat Shakespeare auch nach oben den Mut der Wahrheit gehabt. In den Sonetten nennt er einmal die Schmeichelei die Pest der Höfe, und viele Motive in den Dramen wären als Parallelen dazu anzuführen. In Cymbeline hat er es fast wie ein Verdienst des geächteten Belarius hingestellt, daß er die Söhne des Königs entführte und in der Wildnis aufzog, wo sie Ehrfurcht vor höheren Gewalten, tüchtigen Gebrauch der Waffen und gesunde Sittlichkeit lernen. Wie ein mahnendes Wort an die Königin Elisabeth selber, die auch nach dem Aufhören der papistischen Verschwörungen die politischen Blutgerichte, das Foltern und Vierteilen fortsetzte, zum Grauen manches zeitgenössischen Berichterstatters, berührt mich immer der Appell der Porzia im «Kaufmann von Venedig» an den Juden um Gnade:

Am mächtigsten in Mächt'gen, zieret sie

Den Fürsten auf dem Thron mehr als die Krone.

Das Zepter zeigt die weltliche Gewalt,

Das Attribut der Würd' und Majestät,

Worin die Furcht und Scheu der Könige sitzt;

Doch Gnad' ist über diese Zeptermacht,

Sie thronet in dem Herzen der Monarchen,

Sie ist ein Attribut der Gottheit selbst,

Und ird'sche Macht kommt göttlicher am nächsten,

Wenn Gnade bei dem Recht steht.

Shylock war doch weit entfernt davon, königliche Macht zu besitzen oder ein Zepter zu führen, und der Doge steht von vornherein dem bedrängten Antonio wohlwollend zur Seite. Die Verse passen nicht ganz in die Situation; aber den Londonern, die so häufig die angeblichen Hochverräter durch die Straßen führen und das Schaffot in Blut schwimmen sahen, war gewiß ohne weiteres verständlich, was gemeint war. Abermals macht sich der Humanist in Shakespeare fühlbar durch Fürsorge für die Schwachen und durch Mitleid mit gedrücktem Volk.

Die Form, in der Shakespeare diese Tendenzen vorbringt, wenn man für taktvolle Andeutungen ein so scharfes Wort gebrauchen will, erhöhte noch die Wirkung. Er sprach zu seinen Landsleuten nicht bloß durch Bücher, sondern durch Bilder, die unmittelbar von der Bühne herab die Zuschauer ergriffen. Er nahm allen Glanz der Renaissancerhetorik in seinen Dienst, um Sympathie auf seine Lieblinge zu werfen, z. B. auf den Musterkönig Heinrich V.; und wo kein Pathos mehr hinlangte, da wußte er sich noch mit Witz und Laune zu helfen, wie bei den kläglichen Opfern der Volksverführung im Coriolan». Je weniger der moderne Mensch geneigt ist, sich predigen zu lassen, desto mehr ist mit der herzerfrischenden Kraft des Humors bei ihm auszurichten, und hierin ist Shakespeare ein unübertroffener Meister.

Kraft solcher Eigenschaften hätte sich Shakespeare auch ohne unsere Gesellschaft die Herzen unserer Landsleute in weitem Umfange erobert und unter allen Umständen einen wichtigen Faktor unserer Kultur ausgemacht. Aber die Dankbarkeit und Begeisterung für ihn verlangte nach einem Chor. Der einzelne Bewunderer wollte sich von den Genossen auf neue Vorzüge Shakespeares hinweisen lassen; man stand wie vor einer unerschöpflichen Elementarfülle, die zu systematischer Zusammenarbeit einlud. Der Philologe war sich dabei bewußt, daß er vom Darsteller im Theater viel zu lernen habe; umgekehrt zeigt die Erfahrung, daß die großen Shakespeare-Darsteller immer auch in beträchtlichem Grade Shakespeare-Gelehrte waren. Nicht er bedurfte der Gemeinde: die GeGemeinde drängte sich in unwillkürlichem Huldigungsbedürfnis um ihn und rief möglichst viele Mitverehrer heran. Das entsprang nicht blinder Ausländerei, sondern der tiefen Überzeugung, daß man

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