Imágenes de página
PDF
ePub

liche Höllenlitanei, in der sich die ganze Not seines armen, von Mitleid überströmenden Herzens ausspricht. Und dann nähert er sich, in anderen Masken, seinem Vater und spielt dem Blinden eine ganze Skala von Täuschungen vor, nur um nicht vor Liebe, Mitleid und Zärtlichkeit aufschreien zu müssen. Und steht, in dieser Tragödie der übermenschlich-menschlichen Passion, fast wie ein Gleichnis der Schauspielkunst, ja aller Kunst.

Arthur Kahane.

Shakespeare-Aufführungen am Dresdener Hoftheater.

Seit durch die ersten Übersetzungen und Bearbeitungen Shakespeare in Deutschland bekannt wurde, nennen wir ihn unser eigen, und können uns rühmen, daß er bei uns heimischer geworden ist als in England. Und doch ringen wir fortwährend, ihn mehr und mehr uns anzueignen. Einem doppelten Ziel gelten unsere Bestrebungen, die beste Übersetzung zu erhalten, und die zweckmäßigste Art zu finden, wie Shakespeare inszeniert werden soll. Wenn dieses Ziel einst erreicht sein wird, dann können wir auch eine einheitliche Texteinrichtung für alle deutschen Bühnen erwarten, während jetzt die meisten Bühnen verschiedenartige Übersetzungen und voneinander abweichende Striche aufzuweisen haben. Mit heißem Bemühen suchen wir Shakespeare für unsere Bühne zu gewinnen, den echten, unverfälschten Shakespeare, nicht mehr den verarbeiteten und veränderten, sondern das Original! Das Gefüge, der Bau seiner Werke soll erhalten bleiben, in der Art, wie sie vom Dichter geschaffen wurden, nur mit unwesentlichen Kürzungen, wie sie ohne Schädigung des Ganzen bei jedem Drama, das ein gewisses Zeitmaß überschreitet, vorgenommen werden müssen; und allenfalls mit Zusammenfügen solcher Szenen, die sich ohne Störung und Beeinträchtigung des Eindruckes aneinander schließen lassen. Und dieses, möglichst unveränderte Drama versuchen wir mit all den, in fortgeschrittener Bühnentechnik zu ermöglichenden, stimmungfördernden Szenerien auszustatten. In England führte das Prinzip der Ausstattungskunst dazu, die Aufführung der Werke Shakespeares zu kostbaren Schaustücken zu gestalten, bei denen durch den Glanz und Reichtum der Dekorationen und Kostüme eine mächtige Anziehung für das Publikum erzielt wurde. Wie weit die Absicht, durch dekorativen Reiz zu wirken, auf die Inszenierung Einfluß hatte, mag ein Beispiel zeigen: In der prachtvollen Aufführung von «Romeo und Julia», die Irving 1882 am Lyceum-Theater in London veranstaltete, wurde im V. Akt, in der Szene vor dem Grabmal der Capulets, mitten im Monolog Romeos, nach dem Zweikampf mit Paris ein Einschnitt gemacht, um eine Verwandlung herbeizuführen, die in das Grabmal führte. Über eine hohe Treppe schleppte dann Romeo die Leiche des Paris herab, um mit den Worten des Monologs fortzufahren:

«Da lieg begraben, Tod, von einem Toten.»

(Diese kostbare Ausstattung hatte übrigens £ 8000, also 160000 Mk. gekostet, wie ich durch eine Besprechung mit Irving in Erfahrung brachte. Ich sollte für Direktor Hofmann in Köln die Ausstattung erwerben. Irving wollte sie,

nachdem er sie einige Monate in London ausgenutzt hatte, für £ 2000=40000Mk. verkaufen, Hofmann bot aber nur die Hälfte, so scheiterte das Projekt. Irving befand sich in einem Irrtum, daß er annahm, die Aufführungen in Köln könnten ebenfalls einige Wochen andauern und dann die Ausstattung noch in anderen Städten Deutschlands vorgeführt und verwertet werden.) In Deutschland führte das Bestreben, der Ausstattungsmanie zu begegnen, die Kosten einer Shakespeare-Aufführung zu verringern und vor allen Dingen den Dichter in der besten, ihm zukommenden Art zu inszenieren, zu mannigfaltigen Versuchen. Anstatt in der naturalistischen Behandlung der Bühne fortzufahren, suchte man zu stilisieren, die Dekoration nur anzudeuten und dadurch an Zeit für die Aufstellung der Dekorationen und damit für die Verwandlungen zu sparen. Diesen Versuchen, die aus praktischen Gründen hervorgerufen waren, gesellten sich die von ästhetischen Beweggründen veranlaßten, die darauf hinausgingen, einerseits die Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum aufzuheben oder die Bühne ganz als andersartigen Raum zu gestalten und die Bühnendarstellung zu reliefartiger Bildwirkung zu bringen. Aber auch die Neuerer, die sich zuweilen in zu tiefsinnige Betrachtungen über das Raumproblem der Bühne ergehen, müssen zugestehen, daß zu allen Zeiten, seitdem das Drama eine Verkörperung findet, dies auf einer Bühne geschah, vor der sich der Zuschauerraum befindet, und daß stets eine Illusionierung auf der Bühne angestrebt wurde. Dies ist in den Absichten der Dichtung notwendig inbegriffen und liegt im Wesen des Schauspiels. Und so lebhaft der Widerwille gegen den bisherigen Charakter der Guckkasten-Bühne sich regen mag, so wird doch das Streben nach illusionsmäßiger Darstellung niemals ganz auszurotten sein. Es wird nur darauf ankommen, diese Illusion mit einfacheren Mitteln zu erreichen, die weniger Kosten verursachen; das Beiwerk der Dekoration nicht bis ins kleinste Detail ausführen, sondern sich mit Andeutungen begnügen, durch diese aber, unterstützt von der wieder zur Mittätigkeit veranlaßten Phantasie des Zuschauers tieferen Eindruck zu erzielen, als dies durch die der Wirklichkeit getreulich nachgeahmten Dekorationen möglich war.

Die Dresdner Hofbühne bewies ihren ersten Anteil an diesen Versuchen durch die Inszenierung des «Hamlet», Februar 1909, zu der Architekt Professor Fritz Schumacher die szenischen Entwürfe machte. Eine vereinfachte, kurze Bühne mit Terrasse und Vorhängen als seitlicher Abschluß bildete die Grundlage dieser Inszenierung, die in den Hintergründen durch malerische Wirkung verstärkten Reiz ausübte. («Die Kunst», XI. Jahrgang, und unser Jb. 48, 189 bringen darüber ausführliches.) Die Bestrebungen, zur Reform der Bühne beizutragen, die Bühnenausstattung zu vereinfachen, und dabei doch durch zweckmäßige Innenräume und landschaftliche Bilder, die zugleich geeignet sind, den Zwiespalt zwischen der unnatürlichen, herkömmlichen Bühnenperspektive und der Erscheinung des Darstellers zu verringern, malerische Ansprüche an das Bühnenbild zu befriedigen, fanden weitere Fortsetzung bei Inszenierung von mehreren klassischen und modernen Werken. Da das Problem der vereinfachten Bühne insbesondere für die Inszenierung der Shakespeare-Dramen von größter Wichtigkeit ist, seien hier die beiden Neuszenierungen von «Othello » und «König Richard III.» geschildert, die zuletzt in Dresden zur Darstellung kamen. Maßgebend war, wie schon erwähnt, dabei hauptsächlich, daß die Struktur und der Organismus der Stücke möglichst gewahrt bleiben und die

Verwandlungen auf die kürzeste Zeitdauer beschränkt werden sollten. Im <<< Othello » wurde die erste Straßenszene durch 3 praktikable Häuser und eine Brücke hergestellt. Rechts im Vordergrund das Haus des Brabantio. Der vordere Abschluß der Bühne wurde in allen Szenen durch dunkle Plüschvorhänge gebildet. Die 2. Straßenszene (siehe Abbildung) konnte mit den gleichen Häusern, die nur anders gestellt und zu diesem Zweck verschoben wurden, gebaut werden und ergab trotzdem ein ganz verändertes Aussehen. Das Wirtshaus «Zum Schützen» stand in der Mitte links. Dann wurden die Häuser seitwärts nach hinten geschoben, und der Beratungssaal für den Senat auf einem Wagen vorgeschoben. Diese Verwandlungen erfolgten rasch und nahmen nur 1-2 Minuten in Anspruch.

Der 2. Akt spielt ohne Dekorationsveränderung durch, in einem Burghof, der von hohen Mauern mit einem großen Tor im Hintergrund gebildet wurde, das die Aussicht über eine Mauerbrüstung auf den Horizont gestattete. Die Eingänge links führten zu Othellos Gemächern; die Treppe links im Hintergrund brachte eine reizvolle Abwechslung in die einfach düsteren Formen der Szene. Der Eingang rechts führte nach dem Wachzimmer. Dadurch wurde allen Anforderungen, die die Vorgänge des Aktes stellten, entsprochen.

Der 3. Akt spielte, gleichfalls ohne szenische Veränderung, auf einer Terrasse; die vorderen Seitenmauern des 2. Aktes blieben stehen; hinter einer niederen Brüstung sah man in den Garten, der durch einen Baumversatz vor dem Rundhorizont dargestellt wurde.

Der 4. Akt, zu dem gleichfalls nur eine Dekoration erforderlich war, spielte in einem Vorsaal; rechts der allgemeine Auftritt, links der Eingang zu Desdemonas Zimmer. Im Hintergrund seitwärts ein schmaler Bogen mit Vorhängen, durch den man über einige Stufen in das Innere zu Othellos Gemächern gelangte.

Der 5. Akt begann in einer Straße, vor einer Mauer mit breitem Tor, und brachte dann die Hauptszene in Desdemonas Gemach, das vorgeschoben wurde und so wieder eine rasche Verwandlung ermöglichte.

Bei König Richard III. war die Vorbühne als neutraler Raum ausgebaut, in einfacher Architektur, ein fester Rahmen mit Vorhang zum Abschließen, und auch Öffnungen mit Vorhängen in den schmalen Seitenwänden. Diese Vorbühne, ohne bestimmten Stilcharakter, schloß sich mit Leichtigkeit sowohl an die Innenräume an, wie auch an die land wirtschaftlichen oder Straßenbilder, und diente als Spielraum für Zwischenszenen, um den ungestörten Fortlauf der Handlung während eines Aktes zu ermöglichen.

Der 1. Akt: Vor einer Mauer mit Turm und Pforte, seitwärts Aussicht auf Fluß und Schiffe bot eine Straßendekoration, die auch im 3. und 4. Akte benutzt werden konnte.

Der 2. Akt, ein Innenraum im Palast, rote Wände mit Täfelung, eine Nische im Hintergrund seitwärts. Wenn Königin und Edle abgingen, trat Gloster vor, und der Vorhang der Vorbühne schloß sich hinter ihm; sein Monolog und die erste Szene mit den Mördern spielte auf der Vorderbühne. Derweilen wurde hinter dem Vorhang der Kerker gestellt. Kahle weißgetünchte Wände, ein Pfeiler, der die Decke trug. Nach der Kerkerszene ging vor der Vorbühne der Zwischenvorhang zu, um nach kaum 1 Minute Frist die Verwandlung in das 1. Zimmer des Palastes zu ermöglichen.

[graphic]

Königliches Schauspielhaus, Dresden.

Othello I. Akt, 2. Szene. Dekoration, entworfen von A. Linnebach, gemalt von O. Altenkirch.

« AnteriorContinuar »