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Deutsches Theater, Berlin.

Ernst Sterns Skizze zum Ghetto im,Kaufmann von Venedig'.

schaft; und alle, die nicht dazu gehören, sind Fremde, sind Ausländer, sind Barbaren; zählen nicht und sind dazu da, daß man über sie lacht, wie Porzia und Nerissa über die ausländischen Freier lachen; sind komisch, wie die Herzöge von Marokko und Arragon. Daß Shakespeare diese beiden Figuren äußerst komisch intentioniert hat, geht aus dem Rhythmus dieser Szenen, dem Inhalt

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Grundriß für die Drehbühne zu Ernst Sterns Dekorationen des „,Kaufmann von Venedig", ausgeführt von Rudolf Dworsky.

ihrer Reden, den Inschriften der Kästchen, den Glossierungen durch Porzia und Nerissa klar hervor. Und dieselbe Ausländerkomik hat, letzten Grundes, auch Shylock. Der lästige Fremde, ein störender, unheimlicher Gast, Shakespeare gewiß ebenso widerlich und lächerlich und barbarisch, wie den Venezianern. Der geprellte Jude im Märchenspiel, der freilich einen Moment lang wie eine gefährliche Gewitterwolke in den sorgenlos heiteren Himmel der Venezianer bricht. Aber sobald durch das Wort der Porzia die Wolke verzogen, die Gefahr vorüber ist, bricht die ganze Lebensfreude Venedigs in einem Schrei der Erlösung aus, das Glück jauchzt noch einmal so hell auf und die letzte Erinnerung an jenes unheimlich Fremde versinkt in einem Meer von Musik.

In diesem Sinne (der wohl sicherlich der Sinn Shakespeares war) spielt Bassermann den Shylock: häßlich, unheimlich, böse, fast grotesk. Während Schildkraut (der die Rolle schon früher spielte und im Zyklus mit Bassermann alterniert) ihn aus der (von Shakespeare allerdings mit großer dichterischer Objektivität vorbereiteten) Dialektik des getretenen Opfers darstellt, rührend und Mitleid erweckend, weniger Shakespeare als Rembrandt, dabei unterstützt von einer unerhörten Echtheit in Ausdruck und Geste des Orientalen. Die Porzia ist jetzt Else Heims.

<<König Lear.>>

Innerstes Wesen dieses Werkes: Aufschrei einer tief verwundeten, im Tiefsten getroffenen, verzweifelten Seele aus weher Brust, so gell, so über alle Begriffe schmerzlich, daß er nicht mehr zu ertragen wäre, wenn nicht gleichzeitig alle Schleier einer märchenhaften Ferne um dieses Werk webten. Lears Verzweiflung über Undank und Schlechtigkeit der Welt hat etwas von tierhaftem Rasen an sich, vom Aufbrüllen eines verwundeten Tieres, das Menschenohren aus der Nähe nicht hören können. Auch die Schlechtigkeit der Welt ist in so grausam schrillen Tönen gehalten, daß sie nur durch Distanzierung, durch Übertragen in eine barbarisch-sagenhaft entlegene Zeit noch erträglich ge

macht werden kann.

Dazu kommt: Die besondere Natur des Schauspielers, der für die Rolle des König Lear vorgesehen war. (Der Wille des Regisseurs Reinhardt ist, wie gesagt, schon bei der ersten Konzeption der Regievision mitbestimmt durch die Art der Schauspieler, die ihm vorschweben). In diesem Falle Bassermann, einer der natürlichsten und menschlichsten Schauspieler, dessen ganz auf Wirklichkeit und psychische Wahrheit gestellte Kunst die schmerzliche Nähe der Lear-Menschlichkeit noch multipliziert hätte.

Darum mußten Werk und Hauptdarsteller, um nicht übernah und allzulaut zu wirken, dem Publikum ferner gerückt werden, und das war nur zu erreichen durch eine möglichst starke Betonung des märchenhaften Charakters der Dichtung, durch Entwirklichung und Stilisierung.

Auch das Märchen durfte nur angedeutet, nicht realistisch ausgearbeitet werden. Nur das (stilisierte) Ornament, ein seltsames, barbarisches, völlig unwirkliches Ornament, in den kräftigsten Farben konsequent durchgeführt, konnte den Eindruck der grausamen Wirklichkeit mildern, ohne ihn aufzuheben, ja sogar ihre Gewalt bis zu einer erlösenden, mythischen Höhe steigern.

Demselben Zwecke dienten das exotisch prunkvolle Zeremoniell der ersten Szenen, das Hereintragen des Königs in einer Sänfte, der übermächtige Thron, an dessen Stufe, kontrastierend, die schmächtige Gestalt des Narren (Moissi) armselig kauerte, das Spiel mit dem Szepter, der als barbarische Kuriosität wirkende, gewichtige Landkartentisch, die große Aktion der Länderverteilung. Demselben Zwecke die primitive Monumentalität in der Szenerie des Burghofs *(mit dem wüsten Zechgelage der Ritter) und vor dem Schloßtor Glosters, bloß in wuchtigen Flächen angedeutet. All das rückte die Umwelt Lears in eine mystische, unwirkliche Ferne und verhalf der noblen, schlanken Erscheinung Bassermanns zu einer fast übermenschlichen Hoheit. Wenn er bei dem Fluche gegen Goneril, den als rhetorisches Kabinettstück auszugestalten seine Natur

von vornherein ausschloß, niederkniete und vor innerer Erschütterung lallte und stammelte, so wirkte das wie eine heidnische, rituale Handlung von unheimlicher sakraler Gewalt.

Dasselbe Bemühen um Unwirklichkeit, um bloße Andeutung des Wirklichen herrschte in dieser Aufführung auch bei der Wiedergabe der Natur, die in dieses Werk in einer so merkwürdigen Analogie mit dem furchtbaren Walten des Schicksals verwoben ist. Die Heide: nichts als eine endlose Weite, über die sich der nachtdunkle Himmel des Kuppelhorizonts wölbt. Drei Narren kauern im Nichts; im Chaos, im Schatten von Nacht und Nebel. Und der Donner rollt, der Regen prasselt, der Wind heult und saust. Erheben sich dann, und man sieht sie (die Drehbühne ermöglicht es) torkelnd und wankend ihren gespenstischen Leidensweg im Dunkel über die Heide in die Hütte ziehen.

Hier und im Kornfeld, in den beiden Szenen, wo die Leidenschaft ihren Höhepunkt überschritten hat und nur mehr Schmerz und tiefste menschliche Verzweiflung sprechen, wird die Andeutung realer; die Umwelt wirklicher. Die Armseligkeit der Hütte ist die einzige Wirklichkeit, die einem König von aller unwirklichen Herrlichkeit der Welt geblieben ist, zum Unterkriechen, wenn er friert, nebst zwei armen, nackten Narren, an deren Treue er sich wärmen kann. Hier, unter dem niederen Dach der Bauernhütte, in ihre engen Wände scheint alles Elend und aller Wahn der Welt gedrängt zu sein. Und während der Narr singt, der arme Tom lallt, der König rast, heult der Sturmwind, rollt der Donner, prasselt der Regen: die grausigste Symphonie der furchtbar grausamen Natur und der noch grausameren menschliche Verzweiflung.

Seinen menschlichen Höhepunkt erreichte Bassermanns Lear in der Zeltszene mit Cordelia, wo er sein letztes Erwachen und Auslöschen mit dem Schimmer einer unendlich gütigen, milden Weisheit verklärte.

Der Gesamttendenz dieser Aufführung, den Eindruck der Menschlichkeit durch den phantastischen Märchencharakter der Umwelt zu steigern und zu erhöhen, entspricht völlig die Gestaltung des Narren durch Moissi, der in dieser Figur eine Synthese von Phantastik und Menschlichkeit versucht.

Der Kent (von Eduard v. Winterstein gespielt) ragt, ein getreuer Eckart, wie ein ungeheures, treuherziges Stück Wirklichkeit in die Märchenwelt hinein. Bei den drei Töchtern Lears herrschte das Bestreben vor, eine gewisse Einheit des Blutes aufzuzeigen. Auch Cordelia mußte, wie die stolze Goneril und die wilde Regan, Blut vom Blute ihres Vaters sein und etwas von dem trotzigen, ungebärdigen und unbeugsamen Wesen dieses Titanidenhauses haben.

Edgar: eine jener nicht seltenen Figuren, bei denen Shakespeare vielleicht mit einer ganz besonderen Begabung seines Ensembles zu rechnen hatte; oder in die er, höchst versteckt natürlich, seine ganze Liebe für das schauspielerische Wesen legte. Hier, in dieser Aufführung: dem Äußeren nach ein etwas scheuer und weltfremder, fast plumper Bauernjunker. Dessen treibende Eigenschaft Schamhaftigkeit ist; und der, aus Scham, um sein von Liebe überreiches Herz zu verstecken, sich verstellen, Masken annehmen, spielen muß. So spielt er den Narren, weil er sich nicht anders vor der Feindseligkeit und den Anschlägen der Menschen schützen kann. In seinem angenommenen Wahn aber drängen sich ihm seltsame Lieder auf die Lippen, wie er sie im Volk und von den Bauern gehört hat, in denen von Teufelsspuk und bösen Geistern, von schmutzigen Lüsten und Versuchern die Rede ist. Mit zitternder Stimme lallt er die unheim

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