Imágenes de página
PDF
ePub

Tasso und die Natürliche Tochter gedichtet, hat auf den ersten teil des Faust einen zweiten von ganz verschiedenem charakter folgen lassen. Ohne zweifel stehen die späteren dramatischen dichtungen Goethe's den dramen Tieck's näher als die früheren. Wird man aber darum einen tieferen einfluss dieses romantikers auf den alternden Goethe annehmen?

Wenn ich also die hauptsächlichste these von Thorndike's schrift nur sehr bedingt annehmen kann, so hindert das doch nicht, die sonstigen vorzüge der gediegenen schrift anzuerkennen. Am wertvollsten scheint mir der fünfte abschnitt, der die chronologie der stücke von Beaumont und Fletcher behandelt. Aber auch sonst finden sich manche sehr beachtenswerte untersuchungen und beobachtungen. Mir war die sehr plausible datierung des wintermärchens (zwischen 1. Jan. und 15. Mai 1611) besonders interessant. Dagegen scheint es mir kein glücklicher gedanke, aus der anwendung der form 'em statt them irgend etwas über die autorschaft der dramen zu schliessen. Es ist zu bedenken, dass wir keine authentischen, sorgfältig hergestellten, texte haben, dass, wenn die ausgaben auf (stenographischer) nachschrift beruhten, wie doch in manchen fällen gewiss anzunehmen ist, die sprechweise und die laune der schauspieler oft in dieser beziehung massgebend waren, dass im anderen fall abschreiber oder drucker gewiss sich nicht immer genau an die sprachlichen eigentümlichkeiten des mscr. gehalten haben werden. Sodann ist doch 'em ein colloquialismus; es kommt also auch auf den ton des betreffenden dramas an, ob diese form häufiger oder seltener gebraucht wird. Shakespeare hat soviel ich sehe, die form 'em vorwiegend in den gesprächen von 'Clowns', oder wenigstens in humoristisch gefärbten scenen verwendet; aber die verschiedenen ausgaben weichen zum teil von einander ab: z. b. in Hml. V, 1, 101 hat die Qu. 2 them, die Folio 'em. Die form scheint allmählich in die höhere umgangssprache eingedrungen zu sein; daher wird sie von jüngeren dichtern, wie Ben Jonson und Fletcher begreiflicher weise öfter verwendet, als von Shakespeare. Immerhin ist der hinweis auf Massinger's abweichendes sprachliches verhalten beachtenswert.

Breslau, Februar 1903.

G. Sarrazin.

Thomas R. Lounsbury, Shakespeare as a Dramatic Artist, with an account of his reputation at various periods. (Shakespearean Wars 1.) New York: Charles Scribners Sons. London:

Eduard Arnold. 1901. 8°.

Eine geschichte der Shakspeare-kritik hat es, wie der verfasser s. IX ff. ausführt, mit zwei verschiedenen gattungen kritischer betrachtung zu thun, welche von getrennten gesichtspunkten ausgehend, auf ihrem wege sich doch vielfach begegnen und auf einander einwirken. So wenig der ästhetiker die ergebnisse der textkritik ausser acht lassen kann, so bereitwillig wird unter umständen der philologe ästhetischen gesichtspunkten einen einfluss auf die revision des wortlauts einräumen.

Hatte der verfasser bei seinem für mehrere bände berechneten generaltitel „Shakespearean Wars" ursprünglich in erster linie eine geschichtliche erörterung der „controversies about the text of the poet" ins auge gefasst, so sah er bald die notwendigkeit ein, dieser darstellung eine solche der „views entertained about Shakespeare as a dramatic artist" vorauszuschicken.

Letztere bilden demgemäss das thema des vorliegenden bandes und zwar unter beschränkung auf die heimat des dichters. Ausländische kritik ist, von vereinzelten hinweisen auf Lessing abgesehen, unberücksichtigt geblieben.

Nur eine ausnahme glaubte verfasser in dieser hinsicht machen zu sollen; sie betrifft Voltaire. „For Voltaire not only effected the opinions of others in regard to Shakespeare, his own reputation in turn suffered in the reaction which his hostile criticism of the poet provoked." Gerade hier indes wuchs das material unter der arbeit so an, dass der demselben ursprünglich zugewiesene raum eines kapitels sich als nicht ausreichend erwies, vielmehr ein besonderer band der zweite in der serie der Shakespearean Wars dem thema „Shakespeare and Voltaire" vorbehalten wurde.

Unter den fragen, welche die englische Shakespeare-kritik zumal im 17. und 18. jahrhundert vornehmlich beschäftigten, stand naturgemäss des dichters stellung zu den „drei einheiten" in erster linie. Die beleuchtung dieser frage nimmt dann auch in dem vorliegenden buch über drei kapitel sich

[ocr errors]

erstreckend einen breiten raum ein. Sagen wir es offen: einen allzubreiten raum!

Die bedeutung des klassicistischen, mit der restauration von Frankreich herübergekommenen geschmacks für die Shakspeare-kritik von Jonson bis Johnson, konnte uns, zumal wesentlich neue gesichtspunkte dabei naturgemäss nicht berührt werden, weit kürzer als es hier auf 128 seiten geschieht, deutlich gemacht werden.

Fast das gleiche gilt von den folgenden beiden abschnitten, in welchen die stellungnahme der pro et contra kritik zu den fragen der einführung komischer personen und scenen in die tragödie und der unnötigen gewaltthätigkeiten und grausamkeiten in letzterer allzu ausführlich erörtert wird. Weniger wäre auch hier mehr gewesen, zumal der verfasser, dem eine grosse belesenheit in der einschlägigen litteratur jener zeit bereitwillig zugestanden werden muss, vollständigkeit ja sicherlich so wenig anstrebte wie erreichte.

In letzterer hinsicht hat bereits Brandl in seiner anzeige des buches (Shakespeare-Jahrbuch XXXVIII s. 245 ff.) auf das fehlen so bedeutsamer schriften wie Young's "Letter to Richardson on original composition" und Collier's „Short review of the immorality of the English Stage" hingewiesen. 1)

Die folgenden kapitel (VII-IX) gliedern sich nur verhältnismässig lose an das vorhergegangene an, und mehrfache wiederholungen des in anderem zusammenhange bereits früher gesagten hätten auch hier kürzungen nur erwünscht erscheinen lassen. Immerhin wird man das bestehen einer stetigen unterströmung zu gunsten Shakspeares ungeachtet aller theoretischen angriffe der klassicisten an der hand der von Lounsbury herangezogenen mannigfachen beispiele in diesen und den vorhergehenden kapiteln mit interesse verfolgen und auch ganz gern die (freilich längst zum alten eisen geworfene) legende von der wiedererweckung Shakspeares durch Garrick hier noch einmal widerlegt finden.

1) Anlässlich der erwähnung von B.'s recension sei in bezug auf Ben Jonson's bekannte anspielung im prolog zu „Every Man in his Humour", welche B. mit bestimmtheit auf Heinrich VI. beziehen möchte, beiläufig bemerkt, dass dieser fürst bei seinem gewaltsamen tode weder ein „ehrwürdiger greis" noch überhaupt past threescore year" war, sondern kaum das fünfzigste lebensjahr überschritten hatte.

L. bezeichnet sein buch als „primarily a history of critical controversy, and not itself a critical estimate"; demgemäss finden sich eigene meinungsäusserungen nur selten, am meisten noch im letzten abschnitt, der Shakspeare „As Dramatist and Moralist" behandelt, ohne dass indes der verfasser auch hier zu bemerkenswerten neuen ergebnissen gekommen wäre.

An einer früheren stelle bespricht Lounsbury die bedeutung, welche die in das moderne drama (gegenüber dem antiken) als neues element eingeführte liebesleidenschaft für die gestaltung desselben nach seiner ansicht haben müsste. Er meint, dass Shakspeare, der einen liebeshandel in den mittelpunkt aller seiner comedies gesetzt habe, sich der schwierigkeiten ganz besonders bewusst gewesen sei, welche die beobachtung der „einheiten" (insbesondere der zeit) der schilderung der liebe in ihren verschiedenen entwicklungsphasen darbiete.

Verfasser lässt hierbei offenbar ausser acht, dass z. b. in einem so durchaus von liebesaffairen erfüllten stück wie ,,Love's Labours Lost" die einheit der zeit nach der (vom verfasser citierten) berechtigten ansicht von R. G. White absolut beobachtet ist, wogegen in zahlreichen anderen seiner dramen, in welchen die liebe keine oder nur eine untergeordnete rolle spielt, Shakspeare sich in bezug auf die zeit die denkbar grössten freiheiten gestattet.

Angenehm wird sich der deutsche leser durch die warmherzige anerkennung der bedeutung Lessings berührt fühlen, sowie durch die energische verteidigung, welche Lounsbury unserm grossen landsmann auf kosten der englischen kritiker des 18. jahrhunderts zu teil werden lässt. Wenn er indes, um zu zeigen wie wenig bekannt Lessing unter seinen zeitgenossen in England gewesen sei, die thatsache anführt, dass erst im jahre 1781 (it was not until 1781) eine englische übersetzung des „Nathan" (von einem in England lebenden Deutschen namens Raspe verfasst) erschienen sei, so hat er sich wohl nicht klar gemacht, dass damals das stück überhaupt noch nicht mehr als zwei jahre alt war, und somit seinen weg über den kanal immerhin mit einer für die verkehrsverhältnisse jener zeit ganz anerkennenswerten schnelligkeit gefunden hatte.

Mit vollem recht bemerkt der verfasser, dass Lessing so

wenig wie seine englischen zeitgenossen Farquhar, Fielding und Johnson die theoretischen angriffe gegen die dramatischen einheiten in seinen stücken in die praxis umgesetzt habe. Dem deutschen leser freilich, der wohl weiss, dass Lessing ein schöpferisches genie vom range der dichter des „,Götz“ und der „Räuber" weder war noch sein wollte, sagt diese bemerkung nichts neues. Sind doch die drastischen worte, mit denen Lessing sich die bezeichnung „,genie" verbat, in unser aller gedächtnis.

Für die bereits hervorgehobene belesenheit Lounsburys legt auch die nebst einem sorgfältig gearbeiteten index an den schluss des buches gestellte, über 134 jahrhunderte sich erstreckende bibliographie ein rühmliches zeugnis ab. F. P. v. Westenholz.

Stuttgart.

Marshall Blakemore Evans, Der bestrafte Brudermord: Sein Verhältnis zu Shakespeares Hamlet. Inaug.-Diss. d. Univ. zu Bonn. Hamburg u. Leipzig, L. Voss 1902. pp. X + 49. 8o.

Evans ist für seine untersuchung auf denselben standpunkt gelangt wie Bülbring, sein lehrer, nämlich dass der ,,Brudermord" in der hauptsache von dem verlorenen Kydschen urHamlet herstammen müsse. Das hauptresultat Sarrazins, Kyd's autorschaft für den ur-Hamlet, setzt er ebenfalls bei seiner arbeit voraus und hofft, dass vielleicht mancher gerade hierin das finde, das ihm die letzten zweifel nimmt. Leider gehören wir nach dem genauen studium der diss. nicht zu denen, die durch die deduktionen von Evans' arbeit überzeugt wurden.

Der verfasser geht seinem problem zunächst mit verschiedenen fragen zu leibe, darunter die wichtigste: „Ist der 'Brudermord' (D) überhaupt von Shakespeare abhängig ?" Während nun Creizenach D auf eine verlorene fassung Shakespeares zurückführt, und Boas mit anderen D aus Q, allein glaubt erklären zu können, kann E. nicht an Sh.'s autorschaft glauben und sucht nun zu beweisen, a) dass D den quellen des Hamlet näher steht als Sh., b) dass D grössere ähnlichkeit mit Kyd's schriften zeigt als Sh.'s Hamlet, c) dass D einiges von dem "English Seneca" aufweist, das nicht bei Sh. steht. Danach teilt sich die arbeit und fasst zunächst das verhältnis von D zu Belleforest ins auge. Wenn es dem genau nach

« AnteriorContinuar »