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hatten, wohl aushalten. Der Pimichin, der hier ein Bach (Caño) heißt, ist so breit wie die Seine, der Galerie der Tuilerien gegenüber, aber kleine, gerne im Wasser wachsende Bäume, Corossols (Anona) und Achras, engen sein Bett so ein, daß nur ein 15-20 Toisen breites Fahrwasser offen bleibt. Er gehört mit dem Rio Chagre zu den Gewässern, die in Amerika wegen ihrer Krümmungen berüchtigt sind. Man zählt deren 85, wodurch die Fahrt bedeutend verlängert wird. Sie bilden oft rechte Winkel und liegen auf einer Strecke von 2-3 Meilen hinter einander. Um den Längenunterschied zwischen dem Ladungsplatz und dem Punkt, wo wir in den Rio Negro einliefen, zu bestimmen, nahm ich mit dem Compaß den Lauf des Caño Pimichin auf und bemerkte, wie lange wir in derselben Richtung fuhren. Die Strömung war nur 2,4 Fuß in der Sekunde, aber unsere Pirogue legte beim Rudern 4,6 Fuß zurück. Meiner Schäßung nach liegt der Landungsplaß am Pimichin 1100 Toisen westwärts von seiner Mündung und 0°2′ westwärts von der Mission Javita. Der Caño ist das ganze Jahr schiffbar; er hat nur einen einzigen Raudal, über den ziemlich schwer heraufzukommen ist; seine Ufer sind niedrig, aber felsigt. Nachdem wir fünftehalb Stunden lang den Krümmungen des schmalen Fahrwassers gefolgt waren, liefen wir endlich in den Rio Negro ein.

Der Morgen war kühl und schön. Sechs und dreißig Tage waren wir in einem schmalen Canoe eingesperrt gewesen, das so unstet war, daß es umgeschlagen hätte, wäre man unvorsichtig aufgestanden, ohne den Ruderern am andern Bord zuzurufen, sich überzulehnen und das Gleichgewicht herzustellen. Wir hatten vom Insektenstich furchtbar gelitten, aber das ungesunde Klima hatte uns nichts angehabt; wir waren, ohne

umzuschlagen, über eine ganze Menge Wasserfälle und Flußdämme gekommen, welche die Stromfahrt sehr beschwerlich und oft gefährlicher machen als lange Seereisen. Nach allem, was wir bis jetzt durchgemacht, wird es mir hoffentlich gestattet seyn auszusprechen, wie herzlich froh wir waren, daß wir die Nebenflüsse des Amazonenstroms erreicht, daß wir die Landenge zwischen zwei großen Flußsystemen hinter uns hatten und nunmehr mit Zuversicht der Erreichung des Hauptzwecks unserer Reise entgegensehen konnten, der astronomischen Aufnahme jenes Arms des Orinoco, der sich in den Rio Negro ergießt, und dessen Existenz seit einem halben Jahrhundert bald bewiesen, bald wieder in Abrede gezogen worden. Ein Gegenstand, den man lange vor dem innern Auge gehabt, wächst uns an Bedeutung, je näher wir ihm kommen. Jene unbewohnten, mit Wald bedeckten, geschichtslosen Ufer des Cassiquiare beschäftigten damals meine Einbildungskraft, wie die in der Geschichte der Culturvölker hochberühmten Ufer des Euphrat und des Orus. Hier, inmitten des neuen Continents, gewöhnt man sich beinahe daran, den Menschen als etwas zu betrachten, das nicht nothwendig zur Naturordnung gehört. Der Boden ist dicht bedeckt mit Gewächsen, und ihre freie Entwicklung findet nirgends ein Hinderniß. Eine mächtige Schicht Dammerde weist darauf hin, daß die organischen Kräfte hier ohne Unterbrechung fort und fort gewaltet haben. Krokodile und Boas sind die Herren des Stroms; der Jaguar, der Pecari, der Tapir und die Affen streifen durch den Wald, ohne Furcht und ohne Gefährde; sie hausen hier wie auf ihrem angestammten Erbe. Dieser Anblick der lebendigen Natur, in der der Mensch nichts ist, hat etwas Befremdendes und Niederschlagendes. Selbst auf dem Ocean und im Sande Afrika's

gewöhnt man sich nur schwer daran, wenn einem auch da, wo nichts an unsere Felder, unsere Gehölze und Bäche erinnert, die weite Einöde, durch die man sich bewegt, nicht so stark auffällt. Hier, in einem fruchtbaren Lande, geschmückt mit unvergänglichem Grün, sieht man sich umsonst nach einer Spur von der Wirksamkeit des Menschen um; man glaubt sich in eine andere Welt versezt, als die uns geboren. Ein Soldat, der sein ganzes Leben in den Missionen am obern Drinoco zugebracht hatte, war einmal mit uns am Strome gelagert. Es war ein gescheiter Mensch, und in der ruhigen, heitern Nacht richtete er an mich Frage um Frage über die Größe der Sterne, über die Mondsbewohner, über tausend Dinge, von denen ich so viel wußte als er. Meine Antworten konnten seiner Neugier nicht genügen, und so sagte er in zuversichtlichem Tone: Was die Menschen anlangt, so glaube ich, es gibt da oben nicht mehr, als ihr angetroffen hättet, wenn ihr zu Land von Javita an den Cassiquiare gegangen wäret. In den Sternen, meine ich, ist eben wie hier eine weite Ebene mit hohem Gras und ein Wald (mucho monte), durch den ein Strom fließt." Mit diesen Worten ist ganz der Eindruck geschildert, den der eintönige Anblick dieser Einöde hervorbringt. Möchte diese Eintönigkeit nicht auch auf das Tagebuch unserer Flußfahrt übergehen! Möchten Leser, die an die Beschreibung der Landschaften und an die geschichtlichen Erinnerungen des alten Continents gewöhnt sind, es nicht ermüdend finden!

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Der Rio Negro. Die brasilianische Grenze.

Der Rio Negro ist dem Amazonenstrom, dem Rio de la Plata und dem Orinoco gegenüber nur ein Fluß zweiten Ranges. Der Besit desselben war aber seit Jahrhunderten für die spanische Regierung von großer politischer Wichtigkeit, weil er für einen eifersüchtigen Nachbar, für Portugal, eine offene Straße ist, um sich in die Missionen in Guyana einzudrängen und die südlichen Grenzen der Capitania general von Caracas zu beunruhigen. Dreihundert Jahre verflossen über zu nichts führenden Grenzstreitigkeiten. Je nach dem Geist der Zeiten und dem Culturgrad der Völker hielt man sich bald an die Autorität des heiligen Vaters, bald an die Hülfsmittel der Astronomie. Da man es meist vortheilhafter fand, den Streit zu verschleppen, als ihm ein Ende zu machen, so haben nur die Nautik und die Geographie des neuen Continents bei diesem endlosen Proceß gewonnen. Es ist bekannt, daß durch die Bullen der Päpste Nicolaus V. und Alexander VI., durch den Vertrag von Tordesillas und die Nothwendigkeit, eine feste Grenzlinie zu ziehen, der Eifer, das Problem der Längen zu lösen, die Ephemeriden zu verbessern und die Instrumente zu vervollkommnen, bedeutend gestachelt worden ist. Als die Händel in Paraguay und der Besiz der Colonie am Humboldt, Reise. III.

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Sacramento für die beiden Höfe zu Madrid und Lissabon Sachen von großem Belang wurden, schickte man Grenzcommissäre an den Orinoco, an den Amazonenstrom und an den Rio de la Plata.

Unter den Müßiggängern, welche die Archive mit Verrechnungen und Protokollen füllten, fand sich hie und da auch ein unterrichteter Ingenieur, ein Marineofficier, der mit den Methoden, nach denen man weit von den Küsten Ortsbestimmungen vornehmen kann, Bescheid wußte. Das Wenige, was wir am Schluß des vorigen Jahrhunderts von der astronomischen Geographie des neuen Continents wußten, verdankt man diesen achtbaren, fleißigen Männern, den französischen und spanischen Akademikern, die in Quito den Meridian gemessen, und Officieren, welche von Valparaiso nach Buenos Ayres gegangen waren, um sich Malaspinas Expedition anzuschließen. Mit Befriedigung gedenkt man, wie sehr die Wissenschaften fast zufällig durch jene „Grenzcommissionen“ gefördert worden sind, die für den Staat eine große Last waren und von denen, die sie ins Leben gerufen, noch öfter vergessen als aufgelöst wurden.

Weiß man, wie unzuverlässig die Karten von Amerika sind, kennt man aus eigener Anschauung die unbewohnten Landstriche zwischen dem Jupura und Rio Negro, dem Madeira und Ucayale, dem Rio Branco und der Küste von Cayenne, die man sich in Europa bis auf diesen Tag allen Ernstes streitig gemacht, so kann man sich über die Beharrlichkeit, mit der man sich um ein paar Quadratmeilen zankte, nicht genug wundern. Zwischen diesem streitigen Gebiet und den angebauten Strichen der Colonien liegen meist Wüsten, deren Ausdehnung ganz unbekannt ist. Auf den berühmten Conferenzen in Puente de Caya (vom 4. November 1681 bis 22. Januar

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