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VIII.

Göthe und Pustkuchen, oder über die beiden Wanderjahre Wilhelm Meisters und ihre Verfasser. Ein Beitrag zur Geschichte der deut= schen Poesie und Poetik; herausgegeben vom Profeffor Sch ú k zu Halle. Halle 1823. Eduard Anton.

Wie sonst wohl falsche Kronpråtendenten auftraten, unter der ents

zündbaren Masse Anhang gewannen, den gesellschaftlichen Zustand auf einige Zeit erschütterten und hernach raketenmäßig in ihr früheres Nichts zerstoben: so erscheinen noch jezt im Reiche der Kunst und Wissenschaft revolutionnaire Masken, welche die Rolle des Genies nachgaukeln, ihr mimisches Possenspiel den kleinsten Begriffen, Bedürfniffen und Leidenschaften anpaffen, als Rådelsführer der besinnungslosen Menge die Kraft aller der Gefeße und Verträge leug

nen,

auf denen die Würde, der Charakter und das Wohl des schriftlichen Gemeinwesens beruht, und zuleht das klägliche Ende der Sternschnuppen nehmen, während die ewigen Lichter am Himmel der Literatur mit ungetrübter Klarheit auf die Stätte des schimpfli chen Falles herabglänzen. Das lauteste Signal einer solchen vorübergehenden, aufrührerischen Bewegung haben neuerlich die PseudoWanderjahre Wilhelm Meisters gegeben, deren Verfasser das gleichnamige Werk Göthe's in athemlosem Wettlaufe niederrennen wollte, auf diesem Querwege aber keinen höhern Lohn seiner Anstrengung davontrug, als einen Reisepaß, um den ewigen Juden einzuholen, mit dem er die Steppen seiner Poesie bis ans Ende der Tage durchstreifen mag, wofern der alte jüdische Unstets den jungen christlichen Prediger neben sich duldet. Irrwische der Art, wie die falschen Wanderjahre, gewähren den Vortheil, daß sie die öffentliche Meinung, die ohne frischen Anstoß_leicht_in_ Dumpfheit versinkt, unwiderstehlich zum fortgesetten Urtheilen, Sichten, Vergleichen auffordern, dabei die Freunde und Gegner bestimmt gegenüberstellen, ohne daß diese långer im Schlafe unter derselben Decke von einander träumen dürften, endlich den zuverläßigsten Maßstab für die allgemeine Bildung darbieten, welche in Deutschland mehr als irgendwo sich hinter Redensarten versteckt, unter Modetendenzen verkappt, mit Halbheiten übertüncht und vom Enthusiasmus nåhrt, wie von einem Handwerk.

Ein Kampf über Göthe ist zugleich ein Entscheidungsproceß über den Stand unsrer Literatur; daher wirkte der trosig hingewor= fene Fehdehandschuh mit der Gewalt einer Explosion; man war auf solchen förmlichen Angriff nicht gefaßt, hatte kaum die Möglichkeit desselben gedacht, wollte in tiefer Ruhe nicht glauben an den

Feind vor den Schranken. Sobald die erste Ueberraschung vorüber war und nun die gründlichen Bewunderer des Dichters von allen Seiten ihrem Erstaunen Luft machten durch den tiefsten und ge= rechtesten Unwillen über die bodenlose Keckheit des Spiegelritters; kroch allerlei Volk aus seinen Schlupfwinkeln hervor, und wie die Frösche bei schönem Wetter einem Vorfänger folgen, so mußte von nun an Pustkuchen diesen ästhetischen Leuten als Castrat bei ihren concerts spirituels dienen. Sie sind höchst buntscheckig zusam= mengeseßt: unter ihnen stehen voran einige abtrůnnige Lobredner, die Göthe früher mit Weihrauch beinahe erstickt hätten, wäre seine Brust nicht stärker gewesen, als ihr Kopf. Da sie für den Göhendienst auch nicht ein armes Wort zum Danke, viel weniger einen Bissen von den dargebrachten Hekatomben erhielten, denn der anges betete Abgott erkannte lächelnd hinter dem Vorhange seines Tem pels ihren ausschweifenden und übermüthigen Sinn; so schmollen sie jest mit ihm, üben sich schweigend in begleitenden Gesten für das Geschrei der Widersacher und lassen von Zeit zu Zeit in einzelnen, unzusammenhängenden Tönen merken, um wie viel sie in ihren Wanderjahren dem Ziele nåher gekommen seyn würden, hắt ten sie die Reise nicht auf dem Rücken des Krebses gemacht. Um diese schließt sich zunächst der Kreis der frommen und frömmelnden Rigoristen, die den Dichter nach ihren Begriffen wollen beten und beichten lehren und für ihn Rosenkranz und Paternoster in Bereits schaft halten; ein wunderlicher, verworrener Haufen, in dem redliche Beschränktheit, andächtige Coquetterie und pharisäische Gaukelei die Hånde zum Anathema falten, unterstügt von Augen, die theils wahrhaft den Himmel suchen, theils verstohlen über den Spiegel hingleiten, theils verdreht in die Nacht flüchten. Seitwärts von diesem Menschenklumpen zieht plårrend und blökend der Haufen vers stockter Materialisten, unter ihnen verschimmelte Wortklauber, bleierne Poetiker, gekräufelte Stylschreiber, die sammt und sonders långst mit dem Kreuz fertig sind, an welches sie Göthe nageln wollen. Als Generalissimus aller radicalen Schulmeister figurirt unter diesem Bunde und Bande der Sprachmåkler Span, der vermöge seines antigôthischen Sparren ursprünglich Holz heißt und deshalb von der Kritik noch vor dem Hobel und Keil die Art verdient. Sein Namensund Geistesverwandter Spaun, bekannt durch ein Gemengsel von Gloffen, obgleich er selbst in der Literatur eine Interpolation ist, ruft als Antipode Göthe's das Geschlecht jener ästhetischen Regens würmer ins Gedächtniß, die in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wie eine von den erneuerten zehn Landplagen Egyptens, den vaterländischen Boden bedeckten, jest aber größtentheils verschwunden sind bis auf einige feltene, wohlerhaltene Eremplare, unter denen jedoch keins mit größerm Rechte eine Stelle im Antikenkabinet des deuts

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schen Philisterthums einnimmt, als das abgetrennte_marinirte Haupt, dem hiermit diese glossa interlinearis feierlich gewidmet wird. Einige verlorne poetische Jäger möchten zwar auch den Chor der Gegner Göthe's vermehren, allein ihre barbarischen Stimmen zerreißen entweder das Ohr, oder ihre kindischen Gemüthlichkeiten reizen zum Ekel, so daß ihnen eigentlich schon zu viel Ehre geschieht, wenn man sie erwähnt. Unter den heutigen Dichtern, die sich eis nes verdienten Ruhmes erfreuen, gibt es Einen, der in der leßten Zeit ungleich fleißiger den delphischen Dreifuß der Kritik, als die ca= stalische Quelle der Musen besucht und als Kunstrichter bis jetzt seine Anerkennung Göthe's mit einer fast diplomatischen Umsicht ausge= sprochen hat, welchem die geistreiche Ironie noch weit besser stånde, lågen die Karten nicht auf andern Puncten so unbegreiflich offen da; ein Verfahren, das keineswegs einen Meister vom Stuhle verrath, er mußte denn die Kunst verstehen, den Lehrlingen und Gez sellen nach Belieben das Schurzfell über die Augen zu schlagen. Der Dichter und der nicht zu verkennende Kritiker der Wanderjahre finden sich gegenseitig mit geheimnißvollen Geberden ab; dabei scheint es, als wendeten sie sich zulezt den Rücken, um einander auf die Länge nicht låstig zu werden. Ganz anders verhält es sich mit Schüß, dem compilatorischen Verfasser des vorliegenden Products: er zeigt unbedenklich ein doppeltes Gesicht, dieses neigt sich huldigend vor Göthe, jenes blinzt faunisch hinter seinem Rücken; nehmen wir beide Ausdrucksweisen zusammen, so erhalten wir eine Null als Charakter des Ganzen. Zwischen den bezeichneten Gruppen und Individuen bewegt sich noch eine beträchtliche Anzahl von, Neutralen, die ihrem Mangel an Entschiedenheit durch eine Dosis geschäftiger Neugierde zu Hülfe kommen und, hätten sie Flügel, allenfalls für den Dienst einer Taubenpost taugten. Aus diesem ungefähren Ueberschlage erhellt zur Genüge, welche lebhafte, außeror dentliche Theilnahme die polemischen Verhandlungen über Göthe im Allgemeinen und insbesondre über seine Wanderjahre Wilhelm Meisters erregt haben und größtentheils noch immer unterhalten.

Um nun von vorn herein einen möglichst festen und sichern Standpunct zu gewinnen, von dem das folgende Urtheil in gerader Linie ausgehen kann, ist eine Verständigung über die vielbespro-. chene Tendenz der Lehrjahre Wilhelm Meisters nothwendig.

Eine Untersuchung, die sich unter diesem Namen ankündigt, erregt bei besonnenen Lesern leicht Anstoß und Verdacht: sie haben unausgesezt so viel von Tendenz hören müssen, sie vernehmen noch immer dieses Schellengeläute des Tages und erblicken in der Nähe so selten ein festes Geleis, daß sie am wenigsten darauf achten, wenn von Göthe die Nede ist, der nach ihrer entschiedenen Meinung mit seiner genialen Freiheit rücksichtlos das künstliche Gehege

der Schulkritik überspringt und die Heerde der Ausleger verlacht, die ihn mit sich einpferchen wollen. Verfolgen wir prüfend den lockenden Einwand.

Es unterliegt keinem Zweifel, je größer ein Dichter ist, desto weniger können seine einzelnen Werke mit dem Winkelmaß und Senkblei der Reflexion vorbildlich entworfen werden, sie måssen vielmehr durchgängig von dem Schöpfungshauche des Unbewußten zeugen, worin eben die höchste Klarheit sich abspiegelt, weil überhaupt keine hervorbringende Kraft in ihrem Urquell sich zerlegt, sondern in lebendiger Einheit ohne Gegensah, Nebenbild, Abschattung ausströmt. Wir werden folglich auf ein Element aller Elemente, auf eine organische Geburtsstätte zurückgewiesen, wo der Genius in seiner freiesten Persönlichkeit waltet und jedem tiefern, allgemeinen Ge= danken das Gepråge einer unbegreiflichen Originalität aufdrückt; wenn man nicht vielmehr sagen muß, er sey diese selbst, offenbare und bestätige durch sie den innersten unterscheidenden Charakter seines Wesens. Einige dichterische Naturen, beseelt von diesem göttlichen Anhauche, streben in allen ihren Bewegungen nach einer festen, unwandelbaren Mitte, leben und weben im steten, unauflöslichen Zufammenhange, kehren nach jedem versuchten Ausfluge in die Ferne immer wieder in ihrë Heimath mit verstärkter Liebe zurück, behandeln eigentlich nur ein und dasselbe Thema in der Folge unerschöpflicher Variationen, die sie freilich auf eine so meisterhafte Art anlegen und durchführen, daß nur der tiefere Kenner die verborgene Gemeinschaft mit Sicherheit herausfühlt. Der höchste Einklang entsteht z. B. auf diese Weise, wenn die Religion das Leben des Sängers unmittelbar in eine Hymne verwandelt; auch die Begeisterung der Liebe gewährt ein eignes hohes Gleichmaß, und stimmt das Vaterland die Leier des Helden, müssen dann nicht von selbst zwei edle Grundtone zu einem höhern dritten verschmelzen? Umgekehrt herrscht wieder in andern poetischen Seelen der Expansionstrieb vor: sie können sich nicht auf eine besondere Gegend beschränken, in ihr ansiedeln, mit ihr verwachsen, sie streben vielmehr bald nach dieser, bald nach jener Seite, und zwar, dem Scheine nach, mit der ungebundensten Willkür, obgleich auch sie mitten in der umfassendsten Beweglichkeit einem unwiderruflichen Zuge folgen, hinter dem sich das höhere Ge= seh der Einheit dunkel verbirgt.

Ein Repräsentant dieses Sinnes und Charakters ist Göthe: er hat sich von jeher nach den verschiedensten Richtungen bewegt; immer sehen wir ihn auf Wanderungen im Universum des Schö= nen. Noch im Greisenalter nahm er Flügel, um goldene Früchte aus dem Hesperidenhaine des Morgenlandes zu holen, und könnte die unerbittliche Parze ein kostbares Leben über das Ziel der Natur hinaus verlängern, gewiß, seine fruchtbare Weisheit würde noch

neue, mannichfaltige, außerordentliche Wege der Lebensbetrachtung auffinden.

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Während nun Viele in Göthe beim Ueberblick seiner Gesammt= thätigkeit in ihm begeistert den Cyclus aller Poesie erblicken, will es Andern vorkommen, als fehle den einzelnen Massen, trok des inwohnenden Schwunges, eine allgemeine Gravitation, als seyen sie mehr oder weniger losgesprengte Meteore, in denen der kometen= ähnliche Geist des Urhebers flamme. So großes Gewicht die lehtere Ansicht auf die Consequenz der Einheit zu legen scheint, so geht sie dennoch auf einen oberflächlichen Materialismus hinaus. Es kann nämlich auch unter den abweichendsten Werken eines Dichters, sofern sie, als solche, dem unmittelbaren Gefühl erscheinen, eine durchgängige Verwandtschaft, ein geistiger Zusammenhang herrschen; und gerade das ist offenbar bei Göthe der Fall. Seine Schriften find, so zu sagen, seine poetische Lebensbeschreibung, die bedeutenderen entsprechen sämmtlich bestimmten Anlässen, Uebergången, Abschlüssen in der Zeit, sie halten gleichsam Rechnung über den fortgehenden Tausch zwischen Gemüth und Welt. Natürlich müssen sie ohne ihre Schuld Unbestimmtheiten, Lücken, auch wohl Widersprüche dar bieten, wenn in ihrer Reihenfolge der Exponent der äußern Umge= bung aus Absicht, Nachläßigkeit oder Stumpffinn weggelassen wird und das Urtheil einseitig auf den Dichter, wie auf ein isolirtes Wesen, zurückgeht. Jedes Leben, auch das unbedeutendste, gestaltet sich in einer entsprechenden Verbindung, selbst die Gegensäße, die Entfernungen fließen aus einem gemeinschaftlichen Urgrunde: wie könnte Göthe in seinen poetischen Erzeugnissen dieses Gefeß der allwaltenden Natur aufheben? Der Schein der Aufhebung entspringt daher, daß die Göthe'sche Poesie nirgends einem firen Dogmatismus huldigt, weshalb sie denn für alle diejenigen keine sichere Grundrichtung hat, die den Geist gern nach der Elle messen. Da endlich. der Dichter die Dissonanzen der heutigen Art, Bildung und Sitte lebendiger und tiefer empfunden hat, als irgend jemand, so konnte er auch nicht die Lösung derselben in einem bequemen eroterischen Hausmittel versuchen. Ist daher seine Darstellung der höchsten Ergebnisse häufig räthselhaft, so gleicht sie darin der Welt, wodurch fie für den feinen Genuß die reizendste Objectivität erhält. Aus dem Bisherigen leuchtet hinlänglich hervor, in welchem Sinne, aus welchem Grunde, mit welcher Einschränkung bei Göthe von der Tendenz seiner einzelnen größeren Werke die Rede seyn darf.

Die Anwendung dieser flüchtigen Winke auf Wilhelm Meister ergibt sich mit genugthuender Sicherheit, da in der Selbstbiographie des Dichters die Richtschnur einer solchen combinatorischen Beurtheilung deutlich vorgewiesen ist. Denn waren seine früheren Werke, wie er mit der glaubwürdigsten Offenheit gesteht, sämmtlich Ergie

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