PROGRAMM DER THOMASSCHULE IN LEIPZIG FÜR DAS SCHULJAHR OSTERN 1875-1876 WOMIT ZU DER ÖFFENTLICHEN PRÜFUNG AM 6. APRIL 1876 EHRERBIETIGST EINLADET DR. FR. AUG. ECKSTEIN, RECTOR. INHALT: I. Abhandlung des Oberlehrers Dr. Johannes Schümann: See und Seefahrt, nebst dem metaphorischen Ge II. Schulnachrichten, von dem Rector. 1876. Progr. Nr. 430. LEIPZIG. DRUCK VON ALEXANDER EDELMANN, UNIVERSITÄTS BUCHDRUCKER See und Seefahrt, nebst dem metaphorischen Gebrauch dieser Begriffe, in Shakspere's Dramen. I. ,,And I have loved thee, Ocean! and my joy (Byron, Childe Harold's Das oft citirte Wort Goethes: „Shakspere ist reich an wunderbaren Tropen, die aus personificirten Begriffen entstehen, und uns gar nicht kleiden würden, bei ihm aber völlig am Platze sind, weil zu seiner Zeit alle Kunst von der Allegorie beherrscht wurde“ hat von den verschiedensten Seiten Beleuchtung, Anfechtung, Einschränkung gefunden. Es erscheint als eine dankbare Aufgabe, das, was in Bezugnahme auf das goethe'sche Wort von einzelnen Gelehrten versucht ist, die Vergleichung shakspere'scher Personification mit der anderer Dichter und Zeitalter, auf engerem Gebiete und zwar so zu unternehmen, dass das Hauptaugenmerk auf den Einen Dichter gerichtet bleibe, seine Worte aber genauerer Interpretation unterworfen werden, während die Aussprüche Anderer jenen nur gleichsam als Folie zu dienen haben. Durch solche Abgrenzung des ungeheuren Feldes, auf dem sich die schöpferische Phantasie des britischen Dichters bewegt, wird es uns leichter möglich sein, in dem kleineren Bezirke durch. eingehendere Untersuchung und mittels fortwährender Vergleichung nicht allein in bestimmter Sphäre einen klareren Blick in den wunderbaren Reichthum seiner Gedankenwerkstatt zu thun, sondern auch zugleich zu beobachten, wie viel es mit dem Nichtkleiden" auf sich habe es wäre ja möglich, dass das allegorische Gewand manchmal Fäden und Farbenschillerung zeigte, die man in ganz modernen Formen wiederfände. Es wird nun, davon sind wir überzeugt, die aufzuwendende Mühe ein desto ergiebigeres Feld vorfinden, je mehr man mit der Eigenart der Nationalität vertraut ist oder sich vertraut macht, der Shakspere angehört, je mehr man sich also erinnert, dass er ein Engländer ist und als solcher zu einer Zeit lebte, da nach schweren politischen Kämpfen ein grossartiger Aufschwung die ganze Nation hob, da einerseits der endgültige Sieg des Protestantismus über jene finsteren Mächte, die freilich hydragleich neu erwachsen sollten, andererseits die gewonnene Hegemonie zur See, der Hauptnerv des Inselvolks, dem Patriotismus des Dichters, wie zumal des Historiendichters, jenen stolzen Aufschwung verlieh, welchen selbst die kühlsten Kritiker als einen unbestreitbaren Vorzug der Shakspere'schen Muse anerkennen den wir Deutsche eben mit einem leisen Seufzer zugeben müssen, wenn wir daran denken, was wir dem aus der goldenen Aera unserer Litteratur entgegenzustellen haben. Es sei demnach unsere Aufgabe, Shakspere als den Sohn des Englands anzusehen, welches, wie ein Parlamentsredner unlängst sagte,,,wohl weiss und wusste, dass es seine Grenzen nicht unmittelbar vergrössern konnte", dafür aber mit berechneter Politik seine Grenznachbarin, die Seé, zur treuen Verbündeten nahm. |